
Panel lebensphasen-orientiertes Arbeiten beim Gesundheitskongress des Westens
Lebensphasen-orientiertes Arbeiten: Die private Pflegeverantwortung rückt stärker in den Fokus
Wer an lebensphasen-orientiertes Arbeiten denkt, hat oft junge Eltern vor Augen. Tatsächlich müssen aber immer mehr Erwerbstätige nicht nur Job und Kinder unter einen Hut bringen, sondern auch die Pflege eines Angehörigen. Gerade Beschäftigte im Bereich Pflege und Gesundheit stehen unter einem besonderen Erwartungsdruck. Hier setzte das Panel an, zu dem das Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) – Träger unseres Landesprogramms – beim Gesundheitskongress des Westens eingeladen hatte. Moderiert wurde die Veranstaltung von Dr. Alexia Zurkuhlen, Vorständin des KDA.
Für das Thema sensibilisieren
Eine Einführung in das Thema gab Greta Ollertz, Leiterin des Servicezentrums des Landesprogramms zur Vereinbarkeit von Beruf & Pflege NRW. Bereits mehr als 480 Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen sind hier Mitglied und schaffen Vereinbarkeitsmöglichkeiten für ihre Mitarbeitenden. Ollertz ermutigte dazu, den Aspekt der privaten Pflegeverantwortung mitzudenken. „Verschaffen Sie sich einen Eindruck davon, wer in Ihrem Unternehmen oder in Ihrer Organisation betroffen ist.“ Dazu könne man für das Thema sensibilisieren und Mitarbeitende ermuntern, nicht nur über die ersten Schritte ihrer Kinder zu berichten, sondern auch von der schwierigen Situation etwa mit der demenzkranken Mutter.
Wenn es um betriebliche Lösungen gehe, so gebe es verschiedene Vereinbarkeits-Möglichkeiten. Selbst kleinere, ambulant tätige Dienste oder Handwerksbetriebe werden vom Landesprogramm begleitet und ermöglichen den Spagat zwischen Job und privater Pflegeaufgabe. Viele Lösungen könnten an Elternangebote angedockt werden. Ollertz nannte aktuelle Zahlen für NRW: 86 Prozent der pflegebedürftigen Menschen werden zuhause betreut. Und bereits rund 770.000 Berufstätige müssen allein in NRW Job und private Pflegeverantwortung unter einen Hut bringen.
Arbeitszeit wird immer wertvoller
Dabei stehen gerade Erwerbstätige im Gesundheits- und Pflegebereich zunehmend unter Druck – mit gesamtgesellschaftlichen und ökonomischen Folgen. Das wurde in der anschließenden Diskussion sehr deutlich. Auf der einen Seite wird ihr beruflicher Einsatz dringend gebraucht – ohne ausreichendes Personal keine belegten Betten, keine Station, keine Einrichtung, kein ambulantes Angebot. Der Erhalt der Arbeitszeit wird mit zunehmendem Personalmangel bei zunehmender Alterung der Gesellschaft immer wichtiger.
Und hier, so betonte Michaela Evans-Borchers, Direktorin des Forschungsschwerpunktes Arbeit und Wandel am Institut für Arbeit und Technik (IAT) in Gelsenkirchen, gehe es auch um Auszubildende: „Wir haben bei unserer Erhebung zum Thema festgestellt, dass auch viele Jugendliche, also potenzielle Auszubildende, Verwandte oder Freunde zuhause pflegen.“ Leider gelte die Angehörigenpflege noch so etwas als „Tabu-Thema“, so Evans-Borchers. „Da muss ein Bewusstsein geweckt werden“, pflichtete Anne Kristina Vieweg, Geschäftsführerin Pflege beim Verband der privaten Krankenversicherung bei. Schließlich profitierten Arbeitgebende und Arbeitnehmende davon, wenn über die Doppelbelastung offen gesprochen und dann Maßnahmen ergriffen werden könnten.
Du bist Profi, Du bekommst das schon hin
Denn es sind gerade die Profis, auf die sich alle Augen richten, wenn es innerhalb der Familie oder im Freundeskreis eine Krankheits- oder Pflegesituation gibt. Bianka Köster, pädagogische Leitung der Weiterbildung Praxisanleitung (DKG), Uniklinik Köln, verwies hier auf ein Positionspapier des Landesprogramms Vereinbarkeit Beruf & Pflege NRW, das die schwierige Situation beruflich Pflegender gut beleuchte. Zugleich nähmen manche Arbeitgebende schon einmal die Haltung ein: Du bist doch Profi, Du bekommst das schon hin, so Köster. „Dabei“, so hob sie hervor, sei berufliche Pflege „etwas ganz anderes“, als wenn man privat jemanden pflege. „Man ist Profi und hat einen hohen Anspruch an sich“, nur dass man privat eben nicht nur professionell agiere.
Köster wünscht sich, dass mehr Führungskräfte „da ins Gespräch kommen“ mit den Teams. Bei der Stiftung Marien-Hospital in Euskirchen, die eine Klinik und mehrere ambulante und stationäre Einrichtungen betreibt, war dies tatsächlich der Ansatz: „Wir haben mit der Personalabteilung und den Abteilungsleitungen begonnen“, schilderte Lydia Kassing, Einrichtungsleiterin in der Stiftung. So sei dann nach und nach für das Thema sensibilisiert und Informationen angeboten worden. Immer mehr Betroffene hätten sich gemeldet. Kassing selber hat sich zum Pflege-Guide qualifizieren lassen.
Austausch im Vereinbarkeits-Café und Sonderurlaub
Inzwischen, so Kassing, plane man ein „Vereinbarkeits-Café“, bei dem sich einmal im Monat alle Interessierten treffen und sich austauschen könnten. Die Maßnahmen, die dann in den Teams ergriffen würden, um Vereinbarkeit zu ermöglichen, seien neben den gesetzlich vorgesehenen auch individuell zugeschnittene. Bei einer „durchschnittlichen Pflegesituation“ von acht Jahren brauche es Unterstützung. Dies, so ihr Wunsch, solle auch „bei der Pflegeversicherung berücksichtigt werden“.
Auch Oliver Wittig, Pflegedirektor im Luisenhospital Aachen, setzt nicht mehr allein „auf den Flurfunk“. Da werde zwar vieles ausgetauscht. Aber die Betroffenen bräuchten konkrete Unterstützungsstrukturen. Die Klinik hat ebenfalls im Rahmen des Landesprogramms zur Vereinbarkeit von Beruf & Pflege NRW Pflege-Guides qualifizieren lassen.
Die 2,5-tägige Qualifizierung bieten die AOKen Rheinland/Hamburg sowie NordWest den Unternehmen, Behörden und Organisationen kostenfrei an, die am Landesprogramm teilnehmen. Die Pflege-Guides erhalten dann Zugang zum „betrieblichen Pflegekoffer“, einer digitalen Unterstützungsplattform, die rasch und übersichtlich informiert.
Die Klinik, so Wittig weiter, gewähre „niederschwellig“ Sonderurlaub, wenn zu Hause eine Pflegesituation eintrete. „So bekommen wir einen Überblick, wer überhaupt betroffen ist.“ Das Landesprogramm biete den Pflege-Guides auch einen Überblick über die jeweils vor Ort angebotenen Unterstützungsstrukturen für pflegende Angehörige, so dass konkrete Tipps gegeben werden könnten.
Nicht nur „nice to have“
Zusammenfassend formulierte Petra Köster aus dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW, das unser Landesprogramm gemeinsam mit den Verbänden der privaten Pflegekassen fördert: „Ohne Familien wäre die Versorgung pflegebedürftiger Menschen im eigenen Zuhause nicht zu leisten.“ Sei es früher vorwiegend um Fragen der Vereinbarkeit zwischen Beruf und Kindererziehung gegangen, so werde die Vereinbarkeit von Beruf und privater Pflegeverantwortung immer wichtiger. Sie sehe das als „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“.
Dass bei dieser Aufgabe auch die Arbeitgeber mit im Boot sind – das betonte auch Michaela Evans-Borchers vom IAT noch einmal: Es gehe hier für Arbeitgebende nicht um ein „Nice to have“, sondern mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit und die Fachkräftesicherung um eine Notwendigkeit.
- Informationen über das Landesprogramm zur Vereinbarkeit von Beruf & Pflege NRW
- AOK mit IAT-Studie zur Wirkung von Vereinbarkeitslösungen
- AOK-Qualifizierung zum Pflege-Guide
- KDA-Positionspapier zur besonderen Belastung beruflich Pflegender bei informeller Pflegeverantwortung
- Fachartikel zur Vereinbarkeit in Gesundheits- und Pflegeberufen (€)